Haus der Stummen: Roman (German Edition) by John Burnside

Haus der Stummen: Roman (German Edition) by John Burnside

Autor:John Burnside [Burnside, John]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Albrecht Knaus Verlag
veröffentlicht: 2015-02-20T16:00:00+00:00


Teil drei – Die Zwillinge

Von Anfang an wusste ich, dass es falsch war, die Zwillinge als meine Kinder anzusehen, und zwar ganz unabhängig von der biologischen Realität. Nur aufgrund einer sprachlichen Ungenauigkeit verwechselt man Vaterschaft mit Besitz, und in diesem Fall war die Vaterschaft rein zufällig. Mich verband nichts mit diesen Kreaturen, die in ihrem Kellerraum lagen, schrien, sich beschmutzten und an ein Leben klammerten, das ich ohne Weiteres in einem Wasserbecken oder mit einem Stück Schnur beenden konnte. Noch einige Tage nach ihrem Tod war Lillians Abwesenheit im Haus spürbar, ein Makel auf dem provisorischen Kinderbett, der dann aber beinah unmerklich verschwand. Danach war sie fort, so einfach, so unkompliziert. Trotzdem vergaß ich nicht, dass die Zwillinge nicht bloß an ihrem Tod schuld waren, sondern auch an den Schmerzen, die Lillian gelitten hatte, und schon aus diesem Grund war mir jedes Vaterschaftsgefühl fremd, jedes Verlangen, sie beschützen oder für sie sorgen zu wollen, das ich sonst vielleicht gehabt hätte. Ich hatte davon gelesen – wie der Anblick des eigenen Nachwuchses selbst unter den ungewöhnlichsten Umständen eine Art väterlichen Instinkt wecken kann, doch waren die Zwillinge für mich von Anfang an – und zu Recht – nie mehr als Labortiere. Ich hatte Lillian auf meine Weise liebgewonnen, hatte es geschätzt, sie im Haus um mich zu haben, im Dunkeln aufzuwachen und ihren mageren Leib an meiner Seite zu spüren, so warm und geschmeidig wie ein Tier – und rein biologisch gesehen waren sie ihre Kinder. Dennoch machte es mir nichts aus, mit dem Experiment fortzufahren. In den ersten Wochen bestand die einzige Schwierigkeit darin, sie am Leben zu halten, damit sie mir später von Nutzen sein konnten. Ich musste einiges an Zeit und Geld dafür aufwenden, den Kellerraum als Wohnstatt für die Zwillinge herzurichten und ihn zudem in ein brauchbares Labor für meine Beobachtungen zu verwandeln. Um das Risiko einer Entdeckung auszuschließen, sah ich mich gezwungen, alle Arbeiten eigenhändig zu erledigen. Ich zimmerte im Keller einen Verschlag, damit ich die Zwillinge später leichter halten konnte. Ich setzte ein Beobachtungsgitter in die Tür ein und stellte Tonbandgeräte und Videorekorder auf, damit ich sie jederzeit im Auge behalten konnte. Ich wusste, ich würde mich um sie kümmern, sie waschen und ernähren müssen, ansonsten aber wollte ich mich so wenig wie möglich im Keller aufhalten. Dass sie isoliert blieben, war schließlich ein wesentlicher Teil des Experiments, und mit den Aufnahmegeräten konnte ich sie beobachten, ohne von ihnen wahrgenommen zu werden, genau wie Tierfotografen junge, spielende Schimpansen in freier Wildbahn beobachten. Es kam entscheidend darauf an, eine angemessene Umgebung zu schaffen, damit es ihnen an nichts Wesentlichem für ihre Entwicklung fehlte. Sie sollten gesund bleiben, da ich sicherstellen wollte, dass meine Schlussfolgerungen nicht von äußeren Faktoren beeinflusst wurden. Schließlich konnte es kaum überraschen, dass Genie sich anfänglich intellektuell nicht entwickelt hatte, bedenkt man, in welchem Elend und Dreck sie lebte. Die Zwillinge aber würden alles bekommen, was sie brauchten. Alles bis auf die Sprache. Um jeden möglichen Rest an Bindungsgefühl zu eliminieren und das



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